Vegetatives Nervensystem
Das vegetative Nervensystem
Das vegetative Nervensystem (autonomes Nervensystem) ist dafür verantwortlich, dass lebenswichtige Vorgänge wie Herzschlag, Atmung oder die Verdauung im Körper unabhängig von direkter willentlicher Beeinflussung, also automatisch ablaufen.
Die Pendelfunktion des vegetativen Systems
Das vegetative System unterliegt einer zweiphasigen Ordnung: das sympathische System, für die Funktion der Energieentfaltung (Aktivität) und das parasympathische System für die Funktion der Energiespeicherung (Erholung und Regeneration). Es zeigen sich im Organismus bei verschiedenen Ereignissen bestimmte Reaktionsweisen, die entweder als sympathische oder als parasympathische Reaktion gedeutet wurden und unabhängig von der Konstitution als Antwort auf bestimmte Reize auftraten. Wenn man aber ein sehr großes klinisches Material überblickt, dann kommt man zu dem Schluss, dass es immer eine Gruppe von Menschen gibt, die auf eine Ereignis eher in sympathischer Richtung reagieren und andere, die vornehmlich mit einer parasymphatischen Reaktion antworten. Während in der
Regel Menschen auf Sorgen und Aufregungen abmagern, gibt es Personen, die darauf mit einer Fettanlagerung reagieren. Dies zeigt, dass der konstitutionelle Faktor (bereits bei Zeugung und Geburt festgelegt) bei der vegetativen Steuerung ebenfalls eine Rolle spielt.
Sympathisches System
Die sympathische Phase führt zu einer Steigerung des Energieumsatzes- und –verbrauches in zahlreichen Organen. Jene Organe, welche die Beziehungen des Individuums zur Umwelt unterhalten (Sinnesorgane, Bewegungsapparat, Gehirn), werden durch diese sympathische Schaltung zu einer gesteigerten Aktivität befähigt. Damit geht eine Steigerung des gesamten Stoffwechsels mit vermehrtem Sauerstoffverbrauch und Erhöhung der Körpertemperatur einher. Ferner Mobilisierung des Glykogens aus seinem Depot, wobei das Resultat als Blutzuckeranstieg festzustellen ist. Gleichzeitig kommt es zu einem Abfall des Blutfettes und Cholesterins mit Anstieg der Blutketonkörper. Die gesteigerte Stoffwechsel- und Kreislauftätigkeit in der sympathischen Phase führt auch zu einer Steigerung des Wasserhaushaltes im Sinne einer Entquellung der Gewebe. Der durch die erhöhte Stoffwechseltätigkeit vermehrte Sauerstoffbedarf bewirkt eine verstärkte Atmungstätigkeit der Lunge. Die spezifischen Hormone der Schilddrüse und Nebenniere greifen in diesem Mechanismus ein.
Nicht zuletzt muss sowohl der auslösende wie der unterhaltende Einfluss psychischer Faktoren erwähnt werden. Freude, aber auch Furcht, Angst und Schrecken lösen eine Erregung des sympathischen Arbeitsganges aus, während dauernde Sorge und Kränkung zu einer dauerhaften Spannungserhöhung des sympathischen Systems führt. Es ist im seelischen wie im organischen Bereich eine Frage der Dosierung, ob durch einen Reiz eine für das Individuum fördernde oder eine krankhafte sympathische Erregung entsteht.
Darüber hinaus gibt es aber auch aus der Umwelt stammende Faktoren, die im Organismus eine sympathische Aktivität anregen. Hierher gehört z. B. der Lichtreiz, welcher auf dem Wege der vegetativen Opticusbahnen Sympathikus erregend wirken kann. Von gewissen akustischen Reizen kann man ebenfalls eine fördernde Wirkung feststellen. Die Außentemperatur und besonders ihre Verschiebungen wirken selbstverständlich gleichfalls auf den vegetativen Regulationsmechanismus. Eine dauernde Wärmeeinwirkung wie sie der Aufenthalt in südlichen Gegenden darstellt, kann ebenfalls einen Einfluss auf das sympathische System haben. Daneben führen eine Reihe anderer Faktoren zu einer Sympathikuserregung. Hierbei ist es wiederum eine Frage der Dosierung, ob der Reiz eine fördernde oder eine krankhafte Reaktion auslöst.
Parasympathisches System
Um den Aufbauprozess im Organismus ungestörter ablaufen zu lassen, werden Beziehungen zur Umwelt eingeschränkt. Hierzu gehört die Drosselung der Muskeltätigkeit auf das Notwendigste und die weitgehende Ausschaltung der Sinnesleistungen und der Gedankentätigkeit (z. B. Schlaf nach der Mahlzeit). Im Kreislauf kommt es zu einer Abnahme
der Herzfrequenz, Herabsetzung des Minutenvolumens, Erweiterung der Arteriolen und damit zum Absinken des Blutdruckes. Die kapillare Durchblutung nimmt zu. Es kommt zu einer Wasserdeponierung im Gewebe. Zusammenfassend kommt es zu einer Reduktion des gesamten Stoffwechsels – Abfall des Blutzuckers, Anstieg des Blutfettes und Cholesterins, Abfall der Blutketonkörper. Die Organsysteme, die der Energiesynthese dienen, erfahren, eine Steigerung ihrer Tätigkeit. Hierher gehört ein e Vermehrung der Sekretion von Speichel-, Magen-, Darmsäften und der Gallenabsonderung. Im Gegensatz zur Ruhigstellung der quer- gestreiften Muskulatur zeigt die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Traktes eine erhöhte Beweglichkeit. Die Ausscheidung der nicht verwertbaren Schlackensubstanzen und der Abbauprodukte des Stoffwechsels durch Darm und Niere erfährt eine Steigerung.
An psychischen Faktoren, die eine parasympathische Phase zeigen, ist zunächst eine leichte Ermüdung und im höchsten Ausmaß die psychische Funktion des Schlafes zu nennen. Die Ermüdung ist ein Signal dafür, dass der Organismus sich in der parasympathischen Aufbauphase befindet.
Während Licht den Sympathikus fördert, ist es vor allem die Dunkelheit oder ein gedämpftes, diffuses Licht, dass erregend auf das parasympathische System wirkt. Von klimatischen Einflüssen ist vor allem die parasympathisch stimulierende Wirkung des Föhns bekannt mit einer schlappmachenden und lethargisierenden Wirkung.
Zusammenfassung
Zusammenfassend sieht man, dass der sympathische Arbeitsgang zu einer Funktionssteigerung des Gesamtstoffwechsels führt und damit den Organismus zu einer gesteigerten Aktivität den Umweltanforderungen gegenüber befähigt. Das heißt, in der sympathischen Phase entsteht eine gesteigerte Bereitschaft, die Wechselbeziehungen zwischen Organismus und Umwelt zu intensivieren. Das gilt sowohl im körperlichen, wie im
Geistigen und seelischen Bereich und führt zu einer gesteigerten Extrovertiertheit in allen Lebensbereichen.
Im Gegensatz hierzu ist der parasympathische Arbeitsgang mit einer Funktionssteigerung der assimilatorischen Stoffwechselphase verknüpft, womit gleichzeitig eine Reduktion der Umweltbeziehungen des Individuums einhergeht. Diese Introvertiertheit gilt ebenfalls sowohl auf körperlichen wie geistigen und seelischem Gebiet und stellt mit ihrer Energiesynthese das Wesen der Erholung dar.
Die Polarität dieser beiden Leistungsphasen ist nicht zu leugnen, aber man darf sich auf keinen Fall vorstellen, dass sie nach dem Entweder-Oder-Prinzip funktioniert.
Es ist im Leben nicht entweder der Sympathikus tätig und dabei der Parasympathikus ausgeschaltet, sondern die Bewältigung einer Aufgabe erfordert sowohl die sympathische als auch die parasympathische Funktion. Es scheint eine allgemein gültige Regel zu sein, dass sich biologische Vorgänge nicht nach dem Entweder-Oder-Prinzip, sondern nach dem Sowohl-Als-Auch-Prinzip abspielen. Das bedeutet, dass auch in der Phase der gesteigerten sympathischen Aktivität sowohl das sympathische als auch das parasympathische System in Aktion ist. Es besteht physiologisch nur eine Verschiebung der Vorherrschaft (Tonuserhöhung). Durch die stets gleichzeitige Wirksamkeit beider Systeme entsteht unter normalen Verhältnissen keine dauernde einseitige Funktionsänderung, sondern im Gegenteil, eine sich gegenseitig dynamisch beeinflussende Wirkung.